Zwischen den Orten Müll sammeln

Wir waren heute Müll sammeln. Eine Bürgerinitiative, die das Stück Wald und Naturschutzgebiet hinter der Waldbühne und zwischen dem Olympiastadion und der Endstation Ruhleben durchkämmt. Die BSR spendet Handschuhe, Müllsäcke, Greifer und entsorgt den gesammelten Müll. Normalerweise gibt es danach Kaffee und Kuchen, man steht beieinander und tauscht sich aus. Aber es ist noch immer alles anders und nicht normal – zumindest sind wir allein unterwegs, es gibt kein abschließendes Treffen, keinen Kuchen, keinen Kaffee.

Wir sind im zweiten Jahr dabei, weil es Spaß macht und auch weil mein Vater die Initiative gegründet hat. In diesem Jahr finden wir Unmengen an Müll. Die Büsche sind noch kahl. Auf der Wiese vor der U-Bahn- und Bus-Endstation finden wir am meisten. Irgendwann wird das Sammeln zum Sog. Man kann den Müll nicht mehr nicht sehen, so dass es eine Entscheidung ist, ob man den Müll liegen lässt oder mitnimmt. Außerdem erzählt der Müll Geschichten, die ich auch nicht mehr nicht sehen kann. Er ist eine Spur von einem Leben, das abwesend ist. An einer Stelle haben wir zwei Zigaretthenhaufen gefunden. Weil der Haufen so groß ist, erzählt er uns, dass dies ein Rauchertreffpunkt ist. Er befindet sich in der Nähe der Busendstation und ich stelle mir vor, dass sich hier die Busfahrer regelmäßig zum Rauchen treffen. Wenn wir den Haufen entfernen, weil er in unseren Augen Müll ist, dann entfernen wir aber auch die Markierung des Treffpunkts. 

Ganz in der Nähe, abseits der Wege, zwischen den Büschen, finden wir eine andere Art des Treffpunkts. Es ist eine kleine Lichtung, die man nicht sieht, wenn die Büsche grün sind. Alufolie, Joghurtbecher, Plastikbesteck haben wir dort gefunden. Taschentücher sieht man überall, hier befinden sie sich aber neben Kleidern und Plastiktüten, die dort vom Regen naß und vom Laub halb bedeckt ebenfalls liegen. Wurden sie vergessen? Wurden sie nicht mehr gebraucht? Ein größerer Ast und ein kleiner Baumstamm liegen einander gegenüber, als wären sie dort absichtlich hingelegt worden. Dort würde ich mich hinsetzen, wenn dies mein Versteck wäre. Geraucht wird hier nicht und es gibt auch keine Flachmänner, die wir sonst oft in der Nähe von Bänken finden. Hier liegen auch keine Plastikflaschen rum – auf sie gibt es Pfand, das vielleicht einen Teil dessen Essens zahlt. Hier haben Menschen gegessen, vielleicht sogar eine Weile gelebt. Es ist nicht die Unterkunft von Kindern oder Jugendlichen – das sieht man. Es ist kein Areal, das sich Kindern suchen würden. Es ist nicht abenteuerlich genug. Es ist eher zweckmäßig. Es ist ein Ort, der zwischen den Orten ist. Unten Büschen, zwischen Endstation und Wohngebiet, zwischen Gemeindehaus und öffentlicher Spielwiese mit Spielplatz. Hier bleibt man nicht länger oder besser, dorthin kehrt man nicht zurück. Ständig halten Busse, machen eine Pause und fahren wieder ab. Auch wenn nicht viel los ist, ist ständig jemand da. Mit unserer Müllsammelaktion haben wir diesen Ort nun nicht nur entdeckt, wir haben auch seine durch den Müll erzählte Geschichte entsorgt. Nun ist er wieder nur ein kleiner Grünstreifen zwischendrin, an dessen Rand die Busfahrer einen neuen Treffpunkt zum Rauchen markieren müssen.